Ulmer Schatzkiste: Was bleibt, wenn du gehst
Es ist das wahrscheinlich Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Du bist Mutter oder Vater und bekommst die Diagnose Krebs ohne Heilungschance. Du realisierst, dass du nicht mehr lange zu leben hast und, dass deine Kinder ohne dich aufwachsen werden. Werden sie sich an dich erinnern? Was bleibt, wenn du gehst?
Mit der „Ulmer Schatzkiste“ haben Dr. Klaus Hönig und Dr. Sarah Krämer vom Universitätsklinikum Ulm ein Projekt ins Leben gerufen, das Betroffenen die Möglichkeit geben soll einen ganz besonderen Film aufzunehmen, den Film ihres Lebens. Angehörige, insbesondere minderjährige Kinder, bekommen so ihr persönliches Schatzkistchen mit vielen wertvollen Botschaften: Anekdoten aus der Kindheit, ein Lieblingslied, Trost in einsamen Stunden oder eine persönliche Nachricht für einen besonderen, zukünftigen Moment.
Nicht nur einmal hatte ich einen Kloß im Hals, als ich mich mit Sarah über das Projekt unterhalten habe. Oft schieben wir das Thema Tod und Sterben von uns weg, dabei ist es Teil unseres Lebens. Eins ist sicher: früher oder später müssen wir alle gehen. Und manche trifft es aus heiterem Himmel. Wenn wir dann als junge Eltern die Möglichkeit haben unsere letzten Monate oder Wochen noch so zu nutzen, wie wir das möchten und Partner:in und Kinder mit einem guten Gefühl zurückzulassen, dann ist das glaube ich, ein sehr großes Geschenk.
Sarah, seit wann gibt es die Ulmer Schatzkiste?
Den ersten Film haben wir im Februar 2022 gedreht. Aber die Idee dazu entstand schon einige Zeit früher, nach einem schwierigen Gespräch kurz nach meiner Einstellung in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Sommer 2020. Eine junge Patientin hatte gerade die traurige Nachricht erhalten, dass sie nicht mehr lange zu leben habe. Die Patientin fragte mich: „Wird sich mein Sohn an mich erinnern?” Dieser war nicht einmal 2 Jahre alt. Ich musste ihre Frage verneinen, was mich sehr beschäftigte.
Ich habe darüber nachgedacht, welche Möglichkeiten es geben könnte, wie unheilbar erkrankte Patient:innen besondere Erinnerungen schaffen können für ihre Angehörige, gerade für ihre Kinder, die im Laufe der Jahre immer weniger oder, wie das Kind meiner Patientin, gar keine Erinnerung mehr an den verstorbenen Elternteil haben wird.
Und so entstand die Idee der Ulmer Schatzkiste…
Genau. Ich habe intensiv nach Lösungswegen gesucht. Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa eine halbe Million Menschen an Krebs, rund 37.000 davon sind Eltern minderjähriger Kinder, das betrifft rund 100 junge Eltern pro Tag.
Zusammen mit Dr. Klaus Hönig entwickelte sich schließlich der Plan der „Ulmer Schatzkiste“. Interessierte bekommen in einer sehr wertschätzenden, fürsorglichen Atmosphäre die Möglichkeit, ihre wichtigsten Botschaften in einem eigenen, professionell gedrehten, Film festzuhalten.
In Vorbereitung auf den Film soll den Patient:innen die Möglichkeit geboten werden, sich in therapeutischer Begleitung mit ihrer aktuell existentiell bedrohlichen Lebenssituation auseinanderzusetzen. Der dadurch frei werdende Blick auf die eigenen Bedürfnisse und Werte lässt oft wichtige Dinge erkennen, die man unbedingt noch erleben möchte oder die einer Klärung bedürfen.
Wer ist alles an dem Projekt beteiligt?
Die Ulmer Schatzkiste ist eine Initiative der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Ulm und ein Projekt der Krebsberatungsstelle (KBS) Ulm. Als Drehort steht uns die historische Villa Eberhardt in der Heidenheimer Straße zur Verfügung. Mit „Die Lichtfänger“ und „Studio Sechzehn“ haben wir mittlerweile tolle Ulmer Filmemacher an der Hand, Befurt Friseure sorgen vom ersten Drehtag an zuverlässig für ein schönes Styling, mit dem sich die Patient:innen wohlfühlen. „Photo Art Hund“, „Photo Chatoyer“ und „Kamera12“ unterstützen uns mit berührenden Portraits.
Besonders zu erwähnen sind hier auch unsere Psychotherapeut:innen aus dem Projektteam, die unsere Patient:innen, und auf Wunsch auch deren Angehörige, in unserer KBS, aber auch digital oder telefonisch, professionell begleiten. Auch unser Social Media Team, bestehend aus einer kleinen Schar unglaublich engagierter Freiwilliger, ist eine große Bereicherung. Seit Anfang diesen Jahres evaluieren wir unser Angebot zudem im Rahmen unserer Studie EVA Schatz mit Hilfe erfahrener, forschungsaffiner Psycholog:innen.
Ich kann mir vorstellen, dass am Set sehr viel geweint wird…
Es wird geweint, ja. Es wird aber auch gelacht. Du musst dir das so vorstellen: Da sind Kameraleute, Stylisten, jemand, der das Interview führt. Ich glaube, da funktionierst du. Viele Patienten sagen nach dem Dreh, dass die Teilnahme an der Ulmer Schatzkiste das emotional Schwerste war, was sie bisher in ihrem Leben gemacht haben und gleichzeitig sind sie sehr dankbar. Sie sind glücklich und stolz, es gewagt zu haben, weil sie genau wissen, was für einen Schatz sie mit unserer Unterstützung gefertigt haben. Die Schatzkiste ist eine Verbindung über den eignen Tod hinaus. Sie ist ein Geschenk von unermesslichem emotionalem Wert.
Euer 1. Benefizevent steht an. Was hat es damit auf sich?
Lebensfreude, pures Glück. Ich werde immer wieder gefragt, was ich aus unserem Projekt mitnehme. Die Antwort ist klar: Lebe bewusst, genieße, liebe, lache, tanze, träume. Die Idee, ein Konzert zu veranstalten war naheliegend. Sterben, Tod und Trauer sind Tabuthemen, die wenig Raum im durchgetakteten Alltag finden – Dr. Hönig und ich würden das gerne ändern. Aus unserer Sicht kann der Blick ans Ende in jeder Lebensphase wertvoll und bereichernd sein. Wagt es.
Das Event findet am 29.09.23, ab 18.30 Uhr, in der Volksbank Ulm-Biberach in der Frauenstraße 60, 89073 Ulm statt. Anmelden kann sich jeder, der Interesse hat, per Mail an ulmer.schatzkiste@uniklinik-ulm.de.
Wie finanziert sich das Projekt?
Das Angebot ist für unsere Teilnehmer:innen kostenfrei. Das ist uns sehr wichtig und daran soll sich nichts ändern. Perspektivisch wünschen wir uns zudem das Projekt weiter auszubauen und noch vielen Interessenten, auch über den Süddeutschen Raum hinaus, die Möglichkeit zu geben, mit uns ihren Film zu drehen.
Wir sind daher auf Spenden von Privatpersonen und Unternehmen angewiesen.
Das können Geldspenden sein, aber auch Dienstleistungen, wie Medienleistungen, Catering etc. sind sehr willkommen. Wir freuen uns über Zuwachs im Team. Die Arbeit ist sehr sinnstiftend und wertschätzend. Uns wird sehr viel Dankbarkeit entgegengebracht und auch wir sind sehr dankbar, wenn wir auf Menschen treffen, die uns und unsere Idee unterstützen.
Wir würden uns wünschen, irgendwann einmal die Kapazität zu haben, alle Patient:innen, die mit uns zusammenarbeiten wollen, rechtzeitig in unser Projekt aufzunehmen.
Ihr möchtet die Ulmer Schatzkiste mit einer Spende unterstützen?
Universitätsklinikum Ulm Sparkasse Ulm
BIC: SOLADES1ULM
IBAN: DE16 6305 0000 0000 1064 78
Verwendungszweck: S.145 - Schatzkiste
Mehr Infos unter www.ulmer-schatzkiste.de.