Im Gespräch mit Annette Fiegel-Jensen und Katharina Manz von der Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller

Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen. Tendenz steigend. Die Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller hat es sich zur Aufgabe gemacht, benachteiligten Kindern zu helfen und ihnen Zugang zu außerschulischer Bildung und gesellschaftlichem Miteinander zu bieten. Ich habe Annette Fiegel-Jensen, Geschäftsführerin der Stiftung, und Katharina Manz, Leitung GRÜNFINDER der Stiftung, zum Gespräch in ihren Räumlichkeiten in der Olgastraße getroffen, zu einem Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt.

Bild: Annette Fiegel-Jensen (links) und Katharina Manz (rechts) von der Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller

Kinderarmut in Deutschland. Wie schlimm ist es wirklich?

Annette Fiegel-Jensen: Die Zahlen sprechen für sich. Die Wahrnehmung kann natürlich, wenn man keine Berührungspunkte mit dem Thema hat, eine andere sein. Aber Kinderarmut zeigt sich oft sehr subtil: die zu großen Schuhe von Bruder oder Schwester, in die das Kind eben erst noch „reinwachsen“ muss, wenig gefüllte Vesperboxen für Kindergarten oder Schule oder das Kind, das immer absagt bei Kindergeburtstagen, weil sich die Eltern kein Geschenk für das Geburtstagskind leisten können.

Und wie sieht es hier in Ulm aus?

Katharina Manz: Auch in der Region Ulm/Donau-Iller gibt es Kinderarmut. Das zeigt sich beispielsweise am Armutsbericht der Stadt Ulm. Die Studie "Arme Kinder und ihre Familien in Baden-Württemberg" zeigt die absolute Notwendigkeit, Kindern in jungen Jahren zu helfen. Für Kinder aus finanziell schwachen Familien ist das Leben oft schon von jungen Jahren an vorbestimmt, wenn sie keine unterstützende Hilfe erhalten.

Das klingt hart…

Katharina Manz: Das ist es auch. Diese Kinder haben geringe Chancen, sich gut zu entwickeln und ihre Fähigkeiten im körperlichen, kognitiven, kulturellen, sozialen und persönlichen Bereich auszubilden. Das Armutsrisiko ist umso höher, je jünger die Kinder sind. Insbesondere alleinerziehende oder sehr junge Mütter und Frauen mit geringer Schulbildung haben kaum eine Chance aus der Armut auszusteigen. Auch wenn Armut oft „vererbt“ wird - sie kann jeden treffen, vor allem in Krisenzeiten. Eltern können den Mangel ausgleichen, wenn sie Zugang zum Hilfe- und Bildungssystem haben. Und da setzen wir an.

Was tut die Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller gegen Kinderarmut in der Region?

Annette Fiegel-Jensen: Die Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller konzentriert sich auf drei Bereiche, die auch so in unserer Satzung festgelegt sind: Unterstützung bei Einzelfällen, Unterstützung bereits bestehender Projekte in der Region Ulm/Donau-Iller und Initiierung eigener Projekte, wie unsere beiden Großprojekte GRÜNFINDER und CHANCENFINDER.

Bild: Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller in der Olgastraße 137

Katharina Manz: Konkrete Beispiele für Individualhilfen sind die Finanzierung des Schullandheimbesuchs und unsere kleineren Aktionen umfassen Projekte wie „Bücherwurm“, bei der Kindern der Zugang zum Lesen eigener Bücher ermöglicht wird, oder auch eine Wunschzettelaktion an Weihnachten.

Die beiden großen Projekte müsst ihr uns näher erklären - was können wir uns darunter vorstellen?

Katharina Manz: Mit unserem Projekt GRÜNFINDER waren wir im Schuljahr 2022/23 an 13 Schulen mit insgesamt 300 Kindern. GRÜNFINDER lädt Kinder ein, die Natur vor Ort zu entdecken. In der Schule oder in den Ferien können Kinder das eigene Lebensumfeld kennenlernen und die Erlebnisse später eigenständig wiederholen, am besten mit den Eltern und Geschwistern. Die ehrenamtlichen Gruppenleitungen werkeln, basteln und forschen mit den Kids in der Regel einmal pro Woche. Die Kinder bekommen neue (Sinnes-)eindrücke und eine Ideen für sinnvolle Freizeitbeschäftigungen draußen in der Natur, die allen frei zugänglich ist, egal wieviel die Eltern verdienen. Vor allem aber schenkt GRÜNFINDER den Kindern Raum in der Natur für individuelle Entwicklung – sei es auf der sozialen, kognitiven oder körperlichen Ebene. Diese Art der Förderung bleibt den Kindern sonst oft verwehrt.

Bild: Raupenkunde bei den GRÜNFINDERN der Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller

Wir bieten GRÜNFINDER auch in den Ferien an, denn in der Ferienzeit zeigt sich die Schere zwischen den finanziellen Verhältnissen der Familien noch deutlicher. Die einen Kinder fahren in den Sommerferien ein oder sogar mehrmals in den Urlaub oder besuchen teure Freizeitparks, die anderen sitzen nur Zuhause vor dem Fernsehen – überspitzt ausgedrückt, aber wir hören das immer wieder. Uns geht es um die Teilhabe der Kinder. Wenn die Kinder an so einem Angebot teilnehmen, dann entwickeln sie ein Gemeinschaftsgefühl, erleben etwas, sprechen miteinander und mit den Ehrenamtlichen. Sprache ist der Schlüssel zu guter Bildung.

Bild: Sommerblumen-Collage, gebastelt von den GRÜNFINDERN der Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller

Bild: Wasserexperimente, GRÜNFINDER der Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller

Annette Fiegel-Jensen: Ein Kind braucht vor allem eins: Zeit. Und die ist heutzutage knapper als je zuvor. Wir möchten hier niemandem einen Vorwurf machen. Eltern sind am Rotieren mit Job, Erziehungsarbeit, Haushalt und was noch so obendrauf kommt. Die Kindergärten und Schulen können das Defizit nicht auffangen. Wir sind zur Unterstützung da. Mit unseren CHANCENFINDERN bekommt das Kind einen Paten oder eine Patin zur Seite, die Zeit mit dem Kind verbringen und es bei der persönlichen Entwicklung unterstützen.

Bild: Rätsel-Ralley der Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller

Wie sieht denn so eine chancenfinder-Patenschaft aus?

Katharina Manz: Bei unserem Patenmodell CHANCENFINDER werden Kinder aus benachteiligten Familien im Rahmen wöchentlicher Treffen durch eine Patin oder einen Paten ganz individuell unterstützt und begleitet. Für eine Patenschaft muss man nicht studiert haben – wer volljährig ist, Zeit, Spaß und Interesse an der Förderung von Kindern hat, ist willkommen und kann sich gerne bei uns melden. Manchmal geht es um Kleinigkeiten, die Veränderung ermöglichen: Erinnerung an die Hausaufgaben, gemeinsame Freizeitgestaltung, die den Horizont des Kindes erweitert und das Kind inspiriert.

Bild: CHANCENFINDER-Patenschaft, Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller

Annette Fiegel-Jensen: Ein entscheidender Wendepunkt findet in der 3. Klasse statt. Wenn entschieden wird, welche weiterführende Schule das Kind besuchen wird. Wir haben schon erlebt, dass Kinder nicht aufs Gymnasium „dürfen“, obwohl sie die Noten dazu hätten – nur, weil in der Familie „noch nie jemand ein Gymnasium besucht hat“. Das nimmt den Kindern viele Möglichkeiten. Ein Pate kann das Kind zum Beispiel ermutigen, mit ihm zusammen den Tag der offenen Tür des Gymnasiums besuchen – vorausgesetzt natürlich die Eltern stimmen dem zu. Aber hier bekommen wir immer wieder sehr positive Rückmeldungen von den Schulen.

Ich habe das Gefühl, wir könnten noch stundenlang weiterreden. Eine letzte Frage: Wer steckt denn eigentlich hinter der Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller?

Annette Fiegel-Jensen: Ein Geschwisterpaar, das seit vielen Jahren im Ausland lebt, hat sich zum Ziel gesetzt, eine Stiftung mit nachhaltiger Wirkung für Kinder in ihrer Heimatstadt Ulm zu gründen – daraus entstand die Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller. Das war im Oktober 2013. Das Geschwisterpaar ist in Ulm aufgewachsen und möchte damit der Region etwas zurückzugeben. Das Gründungskapital des Geschwisterpaares wurde vom Caritasverband in der Diözese Rottenburg-Stuttgart - Caritasregion Ulm-Alb-Donau erhöht – ihr obliegt auch die Geschäftsführung der Stiftung.

Um wen es sich bei dem Geschwisterpaar handelt, wissen selbst wir Mitarbeiter:innen nicht. Aber es müssen Menschen sein, denen das Kinderwohl sehr am Herzen liegt, ohne einen persönlichen Vorteil daraus ziehen zu wollen.

Wie du die Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller unterstützen kannst? Hier findest du verschiedene Möglichkeiten: https://www.kinderstiftung-ulmdonauiller.de/mithelfen/mithelfen